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SUSAN LIEBOLD

DIE FORSCHENDE KÜNSTLERIN

An der Schnittstelle zwischen Glaskunsttradition und Hightech-Sensorik schafft die Designerin in einem ehemaligen Gaswerk in Sonneberg fluoreszierende Abbilder der Natur ihrer Heimat.

Susan Liebold lacht. Das tut sie viel und oft und immer schon. Vielleicht ist es ihre Art, Zähne zu zeigen – in einer Zwischenwelt aus biologischer Neugierde, künstlerischer Verspieltheit, chemischen Reaktionsketten, der Fragilität von Glas und der Kraft des Bunsenbrenners, in der sich die 43-Jährige als Frau nach wie vor durchsetzen muss. „Als mein späterer Mann und ich mit Anfang 20 begonnen haben, im Café meiner Eltern auszuhelfen und auszustellen, bedankten sich die Leute bei mir für den Kuchen und bei ihm für die tollen Glasarbeiten“, erinnert sich die in Neuhaus am Rennsteig geborene Künstlerin. Heute ist sie eine der gefragtesten Glasdesigner*innen Deutschlands. Ihre installativen, teils faszinierend beleuchteten Arbeiten waren in der Schweiz, in Dänemark und in den USA zu sehen – dabei war die Sache mit dem Werkstoff für ihre Designobjekte gar nicht so glasklar.

Als mein späterer Mann und ich mit Anfang 20 begonnen haben, im Café meiner Eltern auszuhelfen und auszustellen, bedankten sich die Leute bei mir für den Kuchen und bei ihm für die tollen Glasarbeiten.

„Ich hatte mir das Handwerk nach dem Abitur zwar angeeignet, weil ich damit aufgewachsen bin“, erzählt Liebold. „Aber während meines Studiums an der Burg Giebichenstein in Halle erkannte ich schnell, dass ich große Arbeiten schaffen möchte. Was ich in Lauscha gesehen habe, war das Gegenteil.“ Über ihre Faszination für Tanz und Performance, Harmonielehre und die Natur, in der sie aufgewachsen ist, treibt Liebold das Material an seine Grenzen. Sie entwickelt eine stabile Netzstruktur, die Objekte mit bis zu 13 Metern Durchmesser ermöglicht, und arbeitet gemeinsam mit einer Glaschemikerin der Universität Jena an fluoreszierenden und phosphoreszierenden Gläsern, die mit Hilfe von UV-Licht leuchten und mittlerweile zu Liebolds Markenzeichen geworden sind. „Ein Transporter, ein bisschen Papier, und das war’s“, flunkert sie. „Und schon stehen die Skulpturen bei Gewitter im Wald.“ Das Ende des 19. Jahrhunderts in Jena erfundene hitzebeständige Borosilikatglas macht’s möglich. „Es wird auch für Auflaufformen oder Laborgeräte verwendet“, sagt Liebold. „Mir ermöglicht es, mit der Flamme einen Teil des Glases mehrfach zu erhitzen, ohne dass das gesamte Objekt zerspringt. Nur so kann ich diese komplexen Formen schaffen.“ Im Gegensatz zur beinah technisch anmutenden Herstellung ihrer Arbeiten erzählt Liebold von ihren Inspirationsquellen, als wäre sie ein Kind des Waldes auf der Suche nach dem Schatz. „Das läuft ganz intuitiv. Ich reagiere auf das, was aus der Natur auf mich zukommt, das wurde mir definitiv in die Wiege gelegt. Die Thüringer Landschaft hat mein Formempfinden geprägt“, erzählt Liebold. „Manchmal fühle ich mich wie eine Biologin, so genau studiere ich die Natur. Ich mikroskopiere, zeichne, versuche, die Dinge in ihrem Wesen, ihrer Organik zu erfassen, das Tier zu erspüren und ein Abbild zu schaffen.“

Ich reagiere auf das, was aus der Natur auf mich zukommt, das wurde mir definitiv in die Wiege gelegt. Die Thüringer Landschaft hat mein Formempfinden geprägt

Ein Stück weit lebt also nicht nur die Thüringer Glastradition in ihren progressiven Werken weiter. Sondern auch Sonneberg, „der Grenzort zum Fränkischen und Brennpunkt des Treffens und der Begegnungen nach der Wende.“ Dessen ehemaliges Gaswerk ist mit Liebolds Atelier ohne Telefon und dem Café, für das ihr Mann sonntags den Kuchen bäckt, bis heute ihr Arbeits- und Lebensmittelpunkt geblieben. Im Ozeaneum Stralsund zum Beispiel, im Badener Wald, in Bayer-Leverkusen und vielleicht irgendwann zwischen Vulkanen und Geysiren, wenn es nach der Künstlerin unter den Naturwissenschaftlern geht: „Ich arbeite seit Jahren mit Hirnforschern aus Ilmenau und dem Institut für Sensor- und Aktortechnik der Hochschule Coburg an einem Touch-Sensoren-Projekt. Ich wünsche mir diese Arbeit auf Island, aber auch dem sehe ich mit gewisser Gelassenheit entgegen“, erzählt sie – und lacht. „Die Dinge werden auf mich zukommen, das war schon immer so. Und irgendwann werde ich verstehen, wieso.“

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