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CORINNA BOHNER

DIE ZUHÖRERIN

Die Betreiberin des Schreibwarenladens ‚Hokus-Pokus‘ hat nicht nur ein Auge für Lücken im Sortiment, sondern vor allem ein offenes Ohr für die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen.

Corina Bohner-Röder ist im 28. Jahr – als Anlaufstelle für die Geburtstagskarte auf den letzten Drücker, den Schmöker auf Bestellung und das Utensil im Schulmäppchen, das es weder im Netz noch bei der Drogeriekette Müller zu kaufen gibt – „zumindest nicht zu diesem Superpreis!“ –, vor allem aber als eine, die zuhört, und das nicht nur, solange der Cent-Betrag für das wöchentliche Sudokuheft abgerechnet wird. „Ob ich will oder nicht, ich kriege alles mit“, erzählt die 57-jährige Inhaberin des Schreibwaren- und So-viel-mehr-Ladens im Zentrum Tambach-Dietharz’ mit einem Lächeln auf den Lippen, das eine Einladung ist. „In den großen Läden oder Supermärkten gibt es kein Hallo und kein Tschüss mehr, bei mir kommt es auf die Kleinigkeiten an“, sagt eine, die sich selbst eigentlich niemals hinter einer Ladentheke hat stehen sehen. „Ich war so ein schüchternes Kind, dass ich mal so ins Quatschen komme, hätte ich nicht gedacht. Aber das kam mit der Zeit und mit den Menschen.“

In den großen Läden oder Supermärkten gibt es kein Hallo und kein Tschüss mehr, bei mir kommt es auf die Kleinigkeiten an

Ein Kind der Zeit, will sagen, der Umstände, ist auch ihr kleiner Laden zwischen Eisdiele und Senior*innenheim, der die Tambach-Dietharzer*innen konkurrenzlos mit allem versorgt, was das Leben geordneter oder einfach schöner macht. „Ich bin das, was man wohl eine Wendeverliererin nennt“, erinnert Corina Bohner-Röder sich zwischen zwei Telefonanrufen, die sie mit einer Zugewandtheit entgegennimmt, dass man nicht anders kann als mehr Worte mit ihr zu wechseln als das Anliegen erfordert. „Ich habe Schaufenstergestaltung gelernt – mein Traumberuf. Es gab ja nicht viel und wir mussten aus nichts etwas machen, also habe ich viel gebastelt. Meine Eltern waren beide im Handel tätig”, erzählt sie weiter und deutet dabei durch das große Schaufenster die Hauptstraße Richtung Kirche hinauf, wo das ehemalige Warenhaus steht. Das mehrstöckige Gebäude wird heute als Pension und Geschäft für Tier- und Outdoorbedarf betrieben – die Zeiten ändern sich. „Wir waren ein reiner Frauenbetrieb und sind damals im Außendienst auf die Klitschen gefahren, um die Konsumfenster zu gestalten“, erinnert sich Bohner-Röder und ihre Augen blitzen dabei. „Dann kam der Umbruch, die Jungen wurden rausgeschmissen und die Alten haben die Tür zugemacht, und wir mussten uns fragen: Was haben wir, woraus können wir etwas machen?“

Es gab ja nicht viel und wir mussten aus nichts etwas machen, also habe ich viel gebastelt.

Die Antwort war so naheliegend wie absurd: eine Garage nämlich, die sich als Ladengeschäft eigenen würde – nach einer Generalüberholung. „Dann habe ich mit meiner Mutter diese Idee gesponnen“, sagt Bohner-Röder erst schmunzelnd und schüttelt dann den Kopf. „Mein Vater war natürlich dagegen, stand später aber selbst im Laden.“ Später, das heißt, nach den Fördermitteln und Krediten, „mit denen man gelockt wurde“. Aber eben auch nach Jahren des Fußboden- und Elektrikverlegens. Im Sommer 1993 eröffnete sie „voller Zuversicht“ ihre kleine Wunderkiste namens ‚Hokus-Pokus‘ eröffnete. Der Name ist bis heute Programm: Wenn es darum geht, das Sortiment zu erneuern, stelle ich mir immer noch einen Zauberhut vor und frage mich: Was könnte diesmal drunter sein? Und noch etwas erinnert sie bis heute an das Vorstellungsvermögen, das es brauchte, um ihren Plan in die Tat umzusetzen: „Schauen Sie mal, dort hinten, die Decke ist abschüssig, wie das bei Garagen eben so ist. Wenn große Menschen in den Laden kommen, ist das immer sehr lustig.“

Wenn es darum geht, das Sortiment zu erneuern, stelle ich mir immer noch einen Zauberhut vor und frage mich: Was könnte diesmal drunter sein?

Doch auch wenn Bohner-Röder sich selbst als eine Person beschreibt, „die immer einen Scherz auf Lager hat“, war es längst nicht immer lustig, sich als Alleinkämpferin im Ort durchzuschlagen. „Der Euro hat mich damals ganz schön runtergerissen. Natürlich sorgt so eine Währungsunion auf allen Seiten für Verunsicherung, außerdem sind große Märkte in den umliegenden Städten entstanden“, erinnert sich Bohner-Röder. „Und auch wenn ich in Tambach das einzige Schreibwarengeschäft führe, haben die Menschen eine Tendenz, immer erstmal im Netz oder woanders zu shoppen, bevor sie zu den Einheimischen gehen. Ich bin dann die Anlaufstelle, wenn sie feststellen, dass sie dort nicht bekommen, was sie suchen – ich kenne die Lücken, ich habe die Marktentwicklungen im Blick.“ Damit meint Bohner-Röder nicht nur die in der Zeitschriftenlandschaft, sondern auch die vor Ort. Weil ihr Geschäft so zentral liegt, ist sie meist die erste Anlaufstelle für Tourist*innen. „Ich habe die Flyer hier, ich kenne die Wege, die Ausflugsziele und gebe natürlich gern Auskunft“, erzählt die Hundebesitzerin, die nach Jahren des Immer-da-Seins ihre Öffnungszeiten gedrosselt hat, um mehr von dem Wald zu haben, der vor ihrer Haustür wartet, und andere Pflichten zu erfüllen. „Die Leute wissen, wann sie mich erreichen.“ Sie frage sich aber schon, „warum die Stadtinfo so versteckt ist, wenn das Haus am zentralen Kirchplatz leer steht, obwohl es die idealen Räume für einen Ort der Begegnung und des Informationsaustauschs bieten würde. Das würde ich mir für unsere Stadt wünschen.“ Bis es soweit ist, beantwortet die gebürtige Tambach-Dietharzerin tagsüber alle Fragen mit ein paar Worten mehr, als die Antworten erfordern, und freut sich nach Feierabend auf das ganze Gegenteil: „Da muss ich nicht reden, dann ist einfach Ruhe im Karton und ich kann mich dem Musikhören widmen, ohne die geht bei mir nüscht.“  

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