HER(R)BERGSKIRCHEN
KULTURHÄUSER IN SÜDTHÜRINGEN
TANZ DEN WILHELM PIECK
Wer heute irgendwo östlich der alten europäischen Teilungslinien durch Städte und Dörfer flaniert, ob im ukrainischen Berehowe, im albanischen Tirana oder im brandenburgischen Rathenow, wird immer wieder auf Gebäude stoßen, die aus dem Ortsbild herauszufallen scheinen. Hochaufstrebend ragen da Betonsäulen zwischen Mietshäusern im Jugendstil herauf und neoklassizistische Paläste am Dorfanger. Schwer und stolz hält ein Wandmosaik der Völkerfreundschaft dem grauen Einkaufszentrum gegenüber stand. Sie sind immer ein wenig zu groß, die Kulturhäuser und Kulturpaläste, die der beginnende Sozialismus aus dem Boden gestampft hat. Das Thüringer Industriedorf Unterwellenborn bei Rudolstadt mit weniger als 4.000 Einwohner*innen erhielt 1955 mit dem Kulturpalast ‚Johannes R. Becher‘ einen Theatersaal für über 700 Gäste. Dem Örtchen Bad Lobenstein unterhalb des Rennsteigs wird 1954 im Kurpark ein dem barocken Neuen Schloss gegenüber beinahe gleichwertiges Kulturhaus geschenkt. Kino, Konzert, Theater, Disko, Ball, Vorträge, die Häuser boten (und bieten bisweilen immer noch) Bildung und Unterhaltung für alle Generationen und Klassen und waren oft ein Zentrum des Gemeindelebens. Die Lehrerin lernte die Kniffe der Fotokamera, der Kumpel war nach Feierabend Schauspieler. Über 2.000 solcher Häuser sollten in der DDR entstehen.
Die Lehrerin lernte die Kniffe der Fotokamera, der Kumpel war nach Feierabend Schauspieler.
Sie sind Zeugen einer Utopie, die der frühe Sozialismus in den späten 1940ern und frühen 1950ern tatsächlich war. Das vergisst man leicht angesichts der unfreiwilligen Komik der letzten SED-Parteitage im größten aller Brüder der Kulturhäuser, dem Palast der Republik in Berlin, aber: Der Beginn der DDR war bei allem Mangel an Material und Konsumgut ein durchaus euphorischer. Dass in der Bonner Republik zunehmend das Personal der Nazizeit die Ministerien füllte, Integration einem Neubeginn vorgezogen wurde, haben nicht nur Polit-Spezialist*innen wahrgenommen. Die DDR baute zu Beginn auf junge, unerfahrene, aber auch unbelastete Menschen im Staatsapparat. Und sie brannten, ehe sie schon nach wenigen Jahren mürbe waren, dafür, die neue Zeit auch dorthin zu bringen, wo Zeit keine Rolle spielt – in die Dörfer und wüsten Lagen der Tiefebene und der Mittelgebirge. Die Idee des Kulturhauses kommt aus der Arbeiterbewegung. Als sich die ersten Arbeitervereine und Gewerkschaften gründeten, fehlte es in den von bürgerlichen Interessen geprägten Städten an Treffpunkten. Weil Gaststätten ihre Räume den Proletarier*innen oft nicht vermieten wollten, entschieden sich viele Vereine, selbst Häuser zu bauen, in denen sie die Verwaltung der Organisation, die Veranstaltungssäle für Kultur und eigene Treffen und die Räume für Bildung unter einem Dach vereinigen konnten. ‚Volkshaus‘ hieß das im 19. Jahrhundert. Ab den 1870er Jahren entstanden solche Gebäude in Skandinavien, in Deutschland ab den 1890ern. Auch damals wurden einzelne Häuser ‚von oben‘ gebaut: von humanistischen oder sozialreformerischen Großindustriellen wie Franz Itting, der ab 1925 in Probstzella mit dem ‚Haus des Volkes‘ das heute größte Bauhausensemble Thüringens schuf.
Sie sind Zeugen einer Utopie, die der frühe Sozialismus in den späten 1940ern und frühen 1950ern tatsächlich war.
Auch die Welle der Kulturhäuser kam von oben. Schon im ersten Fünfjahresplan der DDR wurden alle wichtigen Produktionsstätten mit solchen Stätten versehen. Damals entstanden sie noch in einem vergleichsweise nüchternen Stil, der – bisweilen verspätet – zum ersten Mal die Vorkriegsmoderne in die Dörfer brachte. In Ruhla am westlichen Rennsteig, wo das Kulturhaus ‚Klement Gottwald‘ 1951 für die örtlichen Uhrenwerke fertiggestellt wurde, wurden die kubistische Bauform ursprünglich auf Stelzen gestellt. Natürlich war der Zweck der Kulturhäuser auch, ein enges ideologisches Netz zu ziehen, die Menschen noch nach der Arbeit im Betrieb im Einflussbereich des sozialistischen Denkens zu halten. Mit dem zunehmend sich entfaltenden Kalten Krieg beginnt die Architektur, sich von den leichten Formen der Nachkriegszeit zu lösen. Statt nach den Idealen des Neuen Bauens wird ab Mitte der 1950er Jahre in Sozialistischem Realismus nach Schemaplan der Deutschen Bauakademie in die Höhe gezogen. Während die Moderne unter stalinistischem Einfluss als kapitalistisch und volksfern gilt, als reformistisch und sozialdemokratisch (und darum nicht das volle Leben, sondern bloß ein Leben am Existenzminimum verspricht), gleichen sich die Gebäude überraschend den monumentalen neoklassizistischen Repräsentanzbauten der europäischen Faschismen an. Durchaus mit Verweis auf eine genuin deutsche, völkische Architektur, die den Arbeiter*innen Schlösser statt abstrakten Kosmopolitismus versprach. Erst Mitte der 1960er Jahre entstand schließlich eine genuin sozialistische Moderne in Deutschland, die mit großen Glaswürfeln, viel Chic in der Innenarchitektur und Anklängen an die Industriearchitektur Leichtigkeit und zweckhaften Minimalismus verband. Der Dresdner Kulturpalast oder der ehemalige Berliner Palast der Republik sind Beispiele dieser Phase.
Natürlich war der Zweck der Kulturhäuser auch, ein enges ideologisches Netz zu ziehen, die Menschen noch nach der Arbeit im Betrieb im Einflussbereich des sozialistischen Denkens zu halten.
Von allen Orten am Rennsteig hat wohl Suhl die größte Portion der zweiten und dritten Welle der DDR-Architektur abbekommen. Weil Suhl auch die größte Veränderung durchlaufen hat. Die Stadt nennt sich sowohl ‚Stadt des Friedens‘ als auch ‚Waffenstadt‘. Seit dem 19. Jahrhundert ist sie stark industriell geprägt durch die Waffenindustrie, die Porzellanfabriken und die legendären Automobilwerke Simson. Nachdem 1952 in der DDR die Länderstruktur abgeschafft wurde, sollte die Kleinstadt Suhl zu einer von 14 Bezirkshauptstädten werden – in einer Reihe mit Leipzig, Erfurt oder Rostock. Das noch immer gut erhaltene mittelalterliche Stadtzentrum wurde daher von der Mitte der 1950er bis in die 1970er Jahre hinein von der Bauakademie komplett abgerissen und zuerst nach neoklassizistischen Idealen, später mit modernen Ästhetiken mit Repräsentativbauten neu gedacht. Während sich die Bevölkerung von 24.000 Einwohnerinnen im Jahr 1950 auf 56.000 im Jahr 1988 erhöhte, zeigte das Zentrum von Suhl sich ganz einer Hauptstadt angemessen. Statt kleinteiligen Bebauung dominierten mächtige Architekturen mit viel Freifläche: ein 26-geschossiges Hochhaus, das große Warenhaus ‚Centrum‘ von 1969, fünf ‚Wohnscheiben‘ genannte flache Plattenbauten. Dazu die runde, glasverkleidete ‚Stadthalle der Freundschaft‘, von Leningrader Architektinnen konstruiert, auf deren Flügelanbau das monumentale Wandgemälde ‚Der internationale Charakter der Offensive des Marxismus-Leninismus‘ sich dem zentralen Ernst-Thälmann-Platz präsentierte.
Von allen Orten am Rennsteig hat wohl Suhl die größte Portion der zweiten und dritten Welle der DDR-Architektur abbekommen.
Der erste dieser Repräsentativbauten aber war das Kulturhaus ‚7. Oktober‘, benannt nach dem Tag der Gründung der DDR und errichtet im schematischen Neoklassizismus der späten 1950er Jahre. Nach dem Ende der DDR fungierte es als Spielstätte des 1953 gegründeten Staatlichen Sinfonieorchesters Suhl. 2010 wurde es bis auf den mächtigen, den Platz dominierenden Portikus mit seinen schlanken hohen Säulen abgerissen. Er ist nun ein Anhang des Neubaus der Industrie- und Handelskammer Südthüringen. Das IHK-Gebäude zeugt seit 2016 von einer Stadt, die versucht, wieder in Tritt zu kommen, sich einzupendeln, bei der Hälfte ihrer früheren Bevölkerung, und sich dabei mittlerweile aus dem Katastrophischen der Nachwendejahrzehnte freigeschwommen hat. Dass ein sogenanntes Haus der Wirtschaft heute allerdings ähnlich von einem stolzen Utopismus erzählen kann wie das Haus der Kultur im Jahr 1957, darf doch getrost bezweifelt werden.